Der Kreis Coesfeld wird NRW-Modellkommune und die Stadt Lüdinghausen ist mittendrin. Öffnungen des öffentlichen Lebens in Zeiten der Corona-Pandemie können hier ab dem 19. April wissenschaftlich erprobt werden. Das anstehende Modelprojekt eignet sich dabei weder als frohe Botschaft über die Rückeroberung der Freiheit in vielen Lebensbereichen a la Tübingen, noch als die Offenbarung im Sinne einer übereilten Öffnungsmanie, die zum Treiber der dritten Welle werden wird.

Ein Kommentar von Niko Gernitz, SPD-Fraktionsvorsitzender

Niko Gernitz, SPD-Fraktionsvorsitzender

Niko Gernitz, SPD-Fraktionsvorsitzender

Am vergangenen Freitag gab NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart die Kommunen bekannt, die am „digitalen Modellprojekt“ des Landes Nordrhein-Westfalen Öffnungen in Zeiten der Corona-Pandemie wissenschaftlich erproben sollen. Bereits dieser Botschaft sind drei Informationen zu entnehmen.

Erstens stehen keine breiten Öffnungen im Vordergrund, sondern das wissenschaftliche Ausprobieren von Öffnungen in Zeiten eines aktiven Infektionsgeschehens. Der Kreis Coesfeld hat sich folglich nicht als ehrbarer Kandidat erwiesen, der vor allen anderen Kommunen öffnen darf, sondern als geeigneter Proband in einer wissenschaftlichen Studie im Reallabor. Was an sich nichts schlechtes sein muss, wenn der Fokus dieses Öffnungsszenarios auf diesem Zweck verbleibt und dieser Zweck auch konsequent kommuniziert wird. Passiert das Gegenteil, werden Erwartungen geweckt, die nicht erfüllt werden können und gefährlich sind. Bedauerlicherweise kokettieren der Minister, unser Landrat, CDU und FDP in der Öffentlichkeit geradezu vordringlich mit diesem Gegenteil.

Zweitens ist deutlich die Rede von einem „digitalen“ Modellprojekt. Es ist vordergründig, digitale Instrumente auszuprobieren, mit denen Öffnungen umgesetzt werden. Wer sich also auf ein analoges Tübinger-Modell freut (Testen – Tageskarte – Öffnungen genießen), der/die liegt falsch. Es wird eine digitale Lösung sein. Wie diese aussieht, ist noch vollkommen offen. Gerne wird davon gesprochen, dass mit dem Modellprojekt Angebote für alle Generationen geschaffen würde. Tatsächlich gelten die Angebote aber nur für all jene, die „digital“ unterwegs sind. Das schließt schon einmal gewisse Personengruppen aus, die womöglich zu jung, zu alt oder vielleicht auch beim Datenschutz sensibel sind.

Drittens war dieser Pressetermin nur eine Bekanntgabe. Mit dem Termin gab es über diese Pressekonferenz hinaus keine weiteren Informationen, keine Erlasse oder Verschriftlichungen. Im Mittelpunkt stand allein die Botschaft: „Wir öffnen“; womöglich auch noch: „Wir öffnen, dank Tests und digitalen Instrumenten“. C’est ça! Entspräche dieses Modellprojekt tatsächlich der Größe seiner medialen Wirkungsabsicht, dann hätte da mehr kommen müssen. Es kam aber (noch) nicht mehr. Damit ist auch das Startdatum kaum zu halten, da erst Testkonzepte mit dem DRK sowie Leitlinien in den Verwaltungen erarbeitet werden müssen, was auch einem verantwortbaren Vorgehen entspricht. Da alle Ressourcen knapp sind und auch die Bewerbung in nur kurzer Zeit erarbeitet werden musste, dürfte jedem in dem Sinn kommen, dass gar kein breitangelegtes Modellprojekt erwartet werden kann. Es wird viel eher ein Modell-„Projektchen“. Bitte Verabschieden Sie sich von Gedanken weitgehender, gleichzeitiger Öffnungen im Bereich Sport, Kultur und Außengatronomie! Die Stadtverwaltung wird in Kürze veröffentlichen, wie sich das Modellprojekt in Lüdinghausen und Seppenrade darstellen wird. Viele werden über den begrenzten Umfang und dessen Kleinschrittigkeit nach der großklingenden, ministerialen Verlautbarung verwundert sein. Fraglich ob auch die, die öffnen dürfen, unter den Umständen überhaupt öffnen möchten.

Daher eignet sich das Modellprojekt gar nicht, um darin echauffiert den Treiber der dritten Pandemie-Welle zu erkennen, wie es die Lüdinghauser Grünen nun sehen mögen. Auch dadurch wird die Geschichte gemeinsam mit jenen, die auf schwarz-gelber Seite vor allem verkürzt „Wir öffnen!“ proklamieren, größer erzählt als sie tatsächlich ist. Und hier liegt das Problem: Alle diese Botschaften und Offenbarungen vermitteln genau jenen falschen Eindruck, der den Menschen das Gefühl gibt, dass nun geöffnet wird. Genau das erzeugt den falschen Eindruck, man könne die Hygieneregeln nun etwas schleifen lassen, ist doch von anerkannter Stelle bescheinigt, dass wir alles gut im Griff haben – auch wenn es niemand explizit so sagt. Genau das erzeugt den falschen Eindruck durch die Gegenseite, dass man die Schuldigen für die dritte Welle gefunden habe und das Vertrauen in die Entscheidungsträger zu diskreditieren ist. Damit geht aber die gleiche Botschaft einher – nur mit der Kalkulation aus dieser Gegenmeinung politisches Kapital zu schlagen. Hängen bleibt wieder nur: „Wir öffnen!“

Machen wir die Sache (=Modellprojekt) nicht größer als sie ist. Mit einem realistischen Blick darauf ist allen am meisten gedient. Es liegt vor allem an uns, verantwortlich für uns selbst und unsere Mitmenschen zu handeln. Das strengt mich sicherlich ebenso an wie Sie, doch es gibt noch keine bessere Lösung. Mögliche Teillösungen werden im Kreis Coesfeld nun nebenbei in kleinen Feldversuchen erprobt, an denen man teilnehmen kann – außer sie werden in kurzer Zeit durch zu hohe Inzidenzwerte oder den Bundeslockdown wieder eingestellt.

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